Von den hunderten Terpenen, die die Cannabispflanze enthält, ist keines so verbreitet wie Myrcen (auch Beta-Myrcen bzw. β-Myrcen). Viele Marihuanasorten weisen auch andere „Haupt-Terpene" wie Limonen, Pinen oder Linalool auf, aber Myrcen ist wirklich eine andere Liga, denn es kann bis zu 50 % des Gesamt-Terpengehalts einer Pflanze ausmachen. Wir berichten euch alles, was ihr über die Verbindung wissen müsst.
Da es in so großen Mengen vorkommt, ist Myrcen eines der am besten erforschten Cannabis-Terpene. Der natürliche Kohlenwasserstoff ist auch in Gräsern und Früchten wie Mangos, Zitronenverbene, Basilikum, Hopfen, Petersilie und wildem Thymian vor, und wird aufgrund seines starken, erdigen und pikanten Aromas häufig in der Parfum- und Lebensmittelindustrie eingesetzt.
Zudem ist Myrcen ein Monoterpen, was bedeutet, dass es eine der einfachsten chemischen Strukturen hat, die bei dieser Art von aromatischen Molekülen zu finden ist. Das bedeutet auch, dass es sich um einen wichtigen Baustein für komplexere Terpene handelt und eine Art „Vorstufe" für diese bildet, so wie CBG-A die Universal-„Vorstufe" von anderen Cannabinoiden, darunter auch THC und CBD bildet.
Myrcen: Indica oder Sativa?
Der Großteil der Forschung über Cannabis beschäftigt sich mit Cannabinoiden. Man hat jedoch entdeckt, dass Terpene ganz verschiedene Effekte auf den menschlichen Körper haben und unter anderem auch die psychoaktive Wirkung einer Sorte verändern sowie die medizinischen Vorteile der Cannabinoide verstärken. Abgesehen davon haben sie auch eigene therapeutische Anwendungen.
Man nimmt an, dass Myrcen eine sedierende Wirkung hat. Die Tatsache, dass Sorten mit Indica-Dominanz grundsätzlich mehr Myrcen enthalten, könnte jedenfalls ein Hinweis darauf sein. Das Steep Hills Labs-Labor in Berkeley, Kalifornien, klassifiziert Marihuana mit mehr als 0,5 % Myrcen als beruhigend wirkende Indica, während Cannabisproben mit weniger als 0,5 % als durch ihren stimulierenden, kräftigenden und zerebralen Effekt gekennzeichnete Sativa-Sorte gewertet werden.
Besonders dominant ist Myrcen bei Sorten, die von der Kush-Familie abstammen, Blue-Genetiken und Gorilla.
Man kann auch in Sorten, die als Sativa eingeordnet werden, große Mengen an Myrcen finden, nur weisen diese auch hohe Konzentrationen an anderen Terpenen wie (dem belebend wirkenden) Limonen auf, sodass sie eine insgesamt euphorisierende Wirkung haben. Es gibt also keine soliden Daten, an denen man eine allgemeingültige Regel wie „mehr als 0,5 % Myrcen = Indica" festmachen könnte.
Das könnte damit zusammenhängen, dass Myrcen aufgrund seiner vermutlich beruhigenden Wirkung für den „Sofa-Effekt" verantwortlich gemacht wird, den viele Konsumenten bei den Indica-Sorten verspüren. Tatsächlich entsteht der Indica-Effekt jedoch vor allem dann, wenn Myrcen mit anderen, ähnlich wirkenden und in vergleichbaren Mengen vorliegenden Terpenen wie beispielsweise Caryophyllen kombiniert wird.
Medizinische Vorteile von Myrcen
Pflanzen, die Myrcen enthalten, werden in der Volksheilkunde schon seit langer Zeit als Schlafmittel eingesetzt. Außerdem ist Myrcen erwiesenermaßen ein Antidepressivum und Entzündungshemmer. Zitronengrastee beispielsweise enthält eine große Menge an Myrcen und spielt in der brasilianischen Kräuterkunde dank seiner angstlösenden und schmerzlindernden Eigenschaften seit jeher eine große Rolle.
Myrcen scheint also allem voran beruhigend zu wirken, was die Muskeln entspannt und Schmerzen reduziert und damit offensichtlicherweise bei Krankheiten helfen kann, die Spastik, Krämpfe oder Hyperaktivität verursachen. Viele Ärzte empfehlen Tee aus Pflanzen mit Myrcen auch bei Schlaflosigkeit, Unruhe und Angstattacken.
Ebenso wie dem Terpen Limonen wurde auch dem Myrcen über Versuche mit Mäusen eine Wirkung auf die Durchlässigkeit der Zellmembranen nachgewiesen, was bedeutet, dass es regulierend auf andere Terpene und Cannabinoide wirkt (ähnlich wie CBD auf THC) und deren Effekt entweder hemmt oder verstärkt.
Dank dieser Fähigkeit sorgt das Myrcen bei den Nagern beispielsweise dafür, dass das THC besser durch die Blut- Hirn-Schranke gelangt und mehr THC-Moleküle die CB1-Rezeptoren im Hirn und im Zentralnervensystem landen, wodurch es die Potenz von dessen psychoaktivem Effekt, aber auch dessen medizinische Wirksamkeit deutlich verstärkt.
Myrcen wäre damit ein perfektes Beispiel für den Entourage-Effekt. Dieser Begriff bezeichnet die Tatsache, dass sowohl die Terpene als auch die Cannabinoide synergetisch zusammenwirken und so eine bestimmte therapeutische Wirkung erzielen oder verbessern, die ein einzelnes Cannabinoid oder Terpen nicht erzeugen könnte.
Tierversuche können jedoch häufig nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen werden; es muss also noch weitergeforscht werden, um klar nachweisen zu können, ob Myrcen die Wirkung von THC tatsächlich verstärken kann, insbesondere in den Konzentrationen, die in kommerziellen Cannabisprodukten vorliegen.
Der Mythos von Mangos und Myrcen
Zum Abschluss möchten wir noch einen unter Cannabis-Nutzern weit verbreiteten Mythos mit euch besprechen, nachdem der Verzehr einer reifen Mango vor dem Cannabiskonsum das High deutlich verstärken soll, was auf deren hohen Myrcen-Gehalt zurückgeführt wird.
Es stimmt, dass Mangos Myrcen enthalten. Genauer gesagt ist sogar der angenehme Geschmack der tropischen Frucht zu einem Großteil diesem Terpen zu verdanken. Jetzt kommt aber der Haken an der Theorie: Eine Cannabissorte enthält durchschnittlich 2 mg Myrcen pro Viertelgramm, eine ganze Mango aber nur ca. 0,086 mg – das ist ein mehr als 23facher Unterschied! Wenn Cannabis also bereits so viel von dem Terpen enthält, warum sollte dann der Verzehr einer Mango vor dem Rauchen sich so deutlich auswirken?
Vielleicht verstärken Mangos die Wirkung von THC tatsächlich irgendwie, am Myrcen liegt dies aber in jedem Fall nicht. Eine klare Antwort gibt es also nicht, und das zeigt nur einmal mehr, wie begrenzt die Forschung zu diesem Thema ist. Das Bewusstsein für den Einfluss der Terpene auf den Effekt von Cannabis wächst erst ganz allmählich, denn nachdem bisherige Studien sich vor allem auf die Cannabinoide – und zwar hauptsächlich in isolierter Form – konzentrierten, gibt es einigen Nachholbedarf.
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Quellen:
- Essential oil of Cannabis sativa L. strains. Vito Mediavilla and Simon Steinemann. Journal of the International Hemp Association. 1997.
- Central effects of citral, myrcene and limonene, constituents of essential oil chemotypes from Lippia alba (Mill.). Furtado E., Santos J., Viana GS. Phytomedicine. 2002.
- Taming THC: potential cannabis synergy and phytocannabinoid-terpenoid entourage effects. Ethan B Russo. British Journal of Pharmacology. 2011.
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