Die Proteste nach dem Tod von George Floyd gehen weiter, und immer mehr US-Amerikaner halten ihre politischen Führungskräfte an, zu handeln und den Praktiken, die systemische rassische Ungerechtigkeit im Land zulassen, endlich ein Ende zu bereiten. Dabei wird vielerorts auch das Ende der Marihuana-Kriminalisierung verlangt.
Am 25. Mai wurde George Floyd von Polizisten aus Minneapolis getötet. Der Vorfall hat Proteste ausgelöst, wie es sie seit dem Tod von Martin Luther King nicht mehr gab. Was im letzten Monat geschehen ist, hat deutlich gemacht, dass die USA mitten in einer Abrechnung mit sich selbst stecken – und die Kriminalisierung von Marihuana ist eine ihrer offenen Rechnungen.
Die Handhabung der Drogenpolitik war lange Zeit von Rassenungleichheit geprägt. Auch heute noch wird das Marihuanaverbot disproportional umgesetzt. Jährlich werden mehr als 650 000 Amerikaner festgenommen, da sie gegen die Marihuana-Gesetze verstoßen haben. Nach einer Analyse dieser Inhaftierungen, die Anfang des Jahres von der American Civil Liberties Union (ACLU) veröffentlicht wurde, werden Farbige „3,64 mal wahrscheinlicher wegen des Besitzes von Marihuana verhaftet als Weiße, trotz vergleichbarer Konsumraten". Zwar waren die Festnahmeraten 2018 landesweit sowohl für Weiße als auch für Schwarze niedriger als 2010, doch die rassischen Disparitäten haben sich nicht verbessert und an einigen Orten sogar verschlechtert: 31 Staaten verhaften aktuell mit mehr Wahrscheinlichkeit Schwarze aufgrund eines Marihuanadelikts als im Jahr 2010.
Natürlich ist die Kriminalisierung von Marihuana nicht der einzige Grund für die Rassenungleichheiten in den USA, und auch nicht der einzige Grund, warum manche Mitglieder der Polizei immer noch rassisch aggressiven Verhaltensweisen an den Tag legen. Denn auch wenn es wichtig und notwendig ist, dem Cannabis-Verbot ein Ende zu bereiten, muss man doch einräumen, dass dies nur ein kleiner Teil eines großen Puzzles ist.
Der Rassismus lebt fort
Das Marihuana-Verbot basiert bis auf seinen innersten Kern auf xenophoben Grundlagen. Harry Anslinger Jr., der erste Präsident des Federal Bureau of Narcotics (dem Ursprung der heutigen DEA) und Urheber des Cannabis-Verbots, war für die Aussagen bekannt, die meisten Marihuanakonsumenten seien „Schwarze, Hispanics, Filipinos und Unterhaltungskünstler", und Cannabis bringe „weiße Frauen dazu, Geschlechtsverkehr mit Schwarzen, Entertainern und anderen zu wollen". Der Hauptgrund für das Verbot von Marihuana sei dessen Effekt auf entartete Rassen, erklärte er ebenfalls.
Solche Vorurteile wurden von der Nixon-Regierung aufgegriffen, als diese 1970 den Kampf gegen Drogen verstärkte und Cannabis zum „Staatsfeind Nr. 1" erklärte. Seitdem steht die Pflanze im Epizentrum eines mittlerweile ein halbes Jahrhundert anhaltenden Kriegs, der vor allem die farbigen Bevölkerungsgruppen betrifft, geführt von einer repressiven Polizei, für die afro- und lateinamerikanische Leben offensichtlich weniger wert sind. Es kam sogar zu tödlich endenden Polizeiaktionen wie im Fall Philando Castile im Jahr 2016, dessen Erschießung der Polizist damit begründete, es habe im Auto nach Marihuana gerochen und er hätte Angst um sein Leben gehabt.
Und dann ist da noch die Cannabisindustrie selbst, die zweifelsohne ebenfalls auf dem rassischen Neoliberalismus basiert, der in den USA in den letzten Jahrzehnten dominiert. 2017 bestätigte eine Umfrage von Marijuana Business Daily so, dass weniger als 10 % der Cannabisfirmen von hispanischen oder afroamerikanischen Besitzern gegründet wurden. Zudem ist es auch Tatsache, dass eine Hand voll Kapitalisten und Investment Fonds die großflächige Produktion von Cannabis mit Lizenz mittlerweile vollkommen dominieren und das System Minderheiten als Besitzer größtenteils ausschließt, während nach wie vor Millionen Jugendliche, Arme und Farbige verhaftet werden, weil sie im Grunde genau dasselbe tun.
Wenn die Regierungen Marihuana legalisieren, sind deshalb auch Maßnahmen nötig, die in der neuen Industrie eine Chancengleichheit für farbige Bürger zu schaffen versuchen. Dazu gehört auch, Menschen mit Vorstrafen die Gründung von Marihuanafirmen nicht zu untersagen und ihnen auch Mittel, Bildung, Fähigkeiten und andere Ressourcen bereitzustellen, um ihnen den Start zu erleichtern.
Wie lässt sich das ändern?
Doch selbst die Marihuana-Legalisierung auf Bundesebene würde ein sehr viel größeres Problem nicht lösen: die häufigeren Verhaftungen bzw. allgemein aggressiveren Praktiken der Polizei gegenüber Afroamerikanern und anderen Rassengruppen.
Man könnte verschiedene Ansätze für Bundes-, Bundesstaats- und lokale Regierungen ausprobieren, darunter Vorschriften für besondere Milde, Wiedereinsetzung und Streichungen von Vorstrafen, um der sozialen und professionellen Diskriminierung ein Ende zu setzen, unter der Personen, die lediglich aufgrund des Besitzes von Marihuana verurteilt wurden, zu leiden haben.
In einem Land, wo die meisten Staaten Gesetze zur Cannabis-Legalisierung erlassen haben, sollte niemand für einen Marihuana-Delikt eingesperrt werden dürfen, umso mehr, als eine Verurteilung aus diesem Grund einem für das restliche Leben den Erhalt eines Arbeitsplatzes, einer Wohnung oder staatlicher Unterstützung erschweren kann.
Wenn der Marihuanabesitz nicht länger als krimineller Tatbestand gilt, muss auch dem Leiden der Personen, die aufgrund von Marihuana verurteilt wurden, ein Ende gesetzt werden – insbesondere, da wesentlich öfter Familien mit niedrigem Einkommen und farbige Bevölkerungsgruppen davon betroffen sind.
Der Fall Michael Thompson
Die Regierungen sollten sich vergewissern, dass die Wiedergutmachung gegenüber den rassischen Minderheiten so schnell wie möglich erfolgt. Die Gerichte und die Staatsanwaltschaft müssen Milderungen anbieten, auch für Marihuana-Häftlinge, die seit Jahrzehnten im Gefängnis sitzen.
Ein Beispiel für so einen Fall ist der von Michael Thompson, der eine Haftstrafe von 40 bis 60 Jahren im Gefängnis von Muskegon in Michigan absitzt – es ist einer von vielen Fällen systemischer Ungerechtigkeit in den USA: Er sitzt seit 25 Jahren wegen Marihuanahandels im Gefängnis, leidet an Diabetes, doch man erlässt ihm nichts von seiner Strafe für die Jahre, die ihm noch bleiben. Sein Delikt? 1994 hatte Thompson einem versteckten Ermittler der Polizei 3 amerikanische Pfund Marihuana verkauft. Mittlerweile ist der Verkauf von Marihuana in Michigan legal, womit Michael Thompson für etwas im Gefängnis sitzt, was gar kein Verbrechen mehr ist – das macht das Ganze noch umso schwerer zu verstehen.
Das Problem ist, dass die Polizei bei der Wohnungsdurchsuchung nach der Festnahme eine Feuerwaffe fand. Thompson war allerdings nicht bewaffnet, als man ihn festnahm, und die Pistole gehörte seiner Frau.
Die US-Gerichte scheinen jedoch regelrechte Experten darin geworden zu sein, Anschuldigungen gegen Angeklagte anzuhäufen, die legal als gewalttätig klassifiziert werden, obwohl diese gar keine Gewalttat begangen haben. Das Ganze ist umso problematischer, als es hier auch um Waffenbesitz geht, der in den USA nicht nur legal ist, sondern fast ein Akt von Patriotismus. Nur wenn es sich um eine farbige Person handelt, wird ein Verbrechen sofort als Gewaltverbrechen gewertet, wenn eine Pistole auftaucht. Und damit verdient Thompson, wie so viele andere Fälle, keine Gnade. In einem Land, in dem es so viele Waffen gibt wie in den USA, ist er nichts weiter als ein kleiner Tropfen mehr im bodenlosen Fass systemischer rassischer Ungerechtigkeit.
Nur die Legalisierung auf Bundesebene könnte den Verhaftungen für Cannabis-Delikte und damit auch dem Vorwand Nr. 1 für tausende von Festnahmen, die die farbigen Bevölkerungsgruppen tagtäglich erdulden müssen, ein Ende bereiten. Auch wenn die Cannabislegalisierung allein sicherlich keine Leben retten wird, bietet sie die Möglichkeit, beim Kampf gegen Drogen den Blickwinkel zu ändern – auf eine gemeinschaftlichen Ansatz und den Aufbau positiver Beziehungen, die uns ein Stück näher an das bringen, was richtig und gerecht ist. Die Hoffnung ist noch nicht verloren.
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